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Real Racing 3

Mobile Gaming ist eigentlich nichts für mich. Ich mag Spiele, die ein Erlebnis sind, möglichst realistisch und möglichst gut aussehend. […]

Mobile Gaming ist eigentlich nichts für mich. Ich mag Spiele, die ein Erlebnis sind, möglichst realistisch und möglichst gut aussehend. Casual Games, die auch aus den 80ern kommen könnten, sind nichts für mich. Wozu haben wir denn die moderne 3D-Technik, wenn wir dann bunte, zweidimensionale Minispiele bevorzugen? Und wirklich ernsthafte Spiele, das sind für mich Shooter, Action-Adventures und Autorennen, sind auf den mobilen Plattformen zum einen rar und zum anderen meist schwierig zu steuern und kaum mehr als ein müder Abklatsch von „großen“ Spielen für PC und Konsole (z.B. Dead Space für iOS). Daher bevorzuge ich meistens die PlayStation für´s Gaming. Mit einer Ausnahme: Autorennen. Zwar gibt es auf der PlayStation mit Gran Turismo 5 ein wirklich großartiges, realistisches Autorennen. Allerdings ist die Steuerung eines Autos mit Game-Controller leider alles andere als realistisch und obendrein ziemlich schwer (und dazu kommt noch, dass GT5 als japanisches Spiel eine unverständliche Vorliebe für japanische Autos hat).
Autorennen spielen sich tatsächlich auf einem mobilen Gerät besser.

Doch auch hier sieht es im App Store recht mau aus. Zwar kommt regelmäßig eine neue Inkarnation von Need For Speed heraus. Allerdings haben diese Spiele nichts mehr mit den Klassikern, Teil 2, 3, 4 und vor allem 5, zu tun. Stattdessen gibt es immer gleich aussehende Strecken, meist in asiatischen Großstädten, in denen man sich mit Verkehr und Polizei herumschlagen muss. Die Steuerung ist auf ein Minimum reduziert, das Auto fährt irgendwie von selbst, und man kann auf Knopfdruck Nitro zünden oder driften. Mit Realismus hat das nichts zu tun.

bmwAber es gibt eine Rennspielserie im App Store, die das anders macht. Schon der Name sagt recht viel aus: Real Racing.
2009 verblüffte das Spiel auf dem iPhone mit überraschend guter Grafik und einem realistischen Fahrverhalten. Real Racing 2 schließlich brachte endlich „echte“ Autos, zumindest VW, BMW und einige weitere. Ich habe beide Spiele gekauft, allerdings wenig gespielt. Die Langzeitmotivation fehlte, und außerdem war es ziemlich schwer. Da half auch nicht der Apple-TV-Modus, mit dem man auf dem Fernseher spielen konnte und das iPad oder iPhone zum Lenkrad-Controller wurde.

Und dann kam nun Real Racing 3 und machte erstmal alles anders.
Mittlerweile wurde das Entwicklerstudio dem EA-Imperium angeschlossen und das Spiel dem obligatorischen In-App-Purchase-Treatment unterzogen.

Dies resultiert zunächst darin, dass das Spiel nun kostenlos ist – keine 10 € mehr, sondern gratis. Dafür gibt es zugegeben auch etwas weniger als noch bei Real Racing 2: der Multiplayermodus im klassischen Sinne ist gestorben, genauso wie der Apple-TV-Modus.

Trotzdem ist Real Racing 3 das einzige Spiel, das es bisher geschafft hat, mich für längere Zeit ans iPad zu fesseln. Laut In-Game-Statistik schon über 20 Stunden. Wie? Erstaunlicherweise durch den sozialen Faktor, der die größte Neuerung von Real Racing 3 darstellt: Time Shifted Multiplayer.

Man fährt nämlich nicht gegen Bots, sondern gegen Game-Center-Freunde. Zumindest fühlt es sich so an. Tatsächlich fährt man gegen Bots, die versuchen, die gleiche Endzeit wie Game-Center-Freunde zu halten. Doch auch wenn ich die meisten dieser Freunde nicht „AFK“ kenne, geben sie den Bots doch ein Gesicht, und es ist unglaublich motivierend, diese Gegner zu schlagen. Obendrein gibt es einen satten Bonus auf´s Preisgeld für jeden geschlagenen „echten“ Gegner. Und eine Push-Notification, wenn man geschlagen wurde. Natürlich macht es das erforderlich, dass man genügend Game-Center-Freunde hat, die Real Racing 3 spielen. Netterweise hat sich aber auf App.net (dem Twitter-Nachfolger) eine kleine Bitsundso-Real-Racing-Community gebildet, durch die ich mittlerweile 32 „Freunde“ habe, die Real Racing 3 mir als Gegner vorlegt.

Aber das ist noch nicht alles, was Real Racing besser macht als den Vorgänger und die Konkurrenzspiele: ein anderer, oft unterschätzter, aber für mich sehr wichtiger Teil von Autorennen sind die Rennstrecken.
IMG_0152Dies sind nämlich (bis auf eine) reale Rennstrecken, die lizenziert wurden. Insgesamt 9 Stück, die es aber teilweise auch in unterschiedlichen Konfigurationen gibt – beispielsweise in Indianapolis sowohl den Speedway als auch die hineingebaute Formel-1-Strecke oder beim Hockenheimring neben der normalen auch die kurze Variante. Auch einige Perlen wie Mount Panorama und Spa-Francorchamps sind verfügbar. Eigentlich fehlt nur der Nürburgring mit seiner legendären Nordschleife, die es auch in GT 5 geschafft hat.

Bei den Autos fehlt insbesondere Mercedes-Benz und Ferrari; dafür gibt es Porsche, BMW, Audi, McLaren und Lamborghini (und einige weitere). Insgesamt 46 Autos, die sich teilweise auch sehr unterschiedlich fahren. Gleich in der ersten Rennserie ist es empfehlenswert, das Startkapital nicht für einen Ford oder Nissan auszugeben, sondern sich das kleinste In-App-Paket (50.000 R$ für 1,79 €) zu kaufen und gleich mit dem BMW 1er M Coupe zu starten, der die amerikanische bzw. japanische Konkurrenz ziemlich alt aussehen lässt.
Dies ist übrigens das einzige, was ich bisher an echtem Geld in Real Racing 3 investiert habe. Durchaus fair, wenn man bedenkt, dass die Vorgänger ein Vielfaches kosteten.

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Neben den „R$“ (Real Dollars, haha), die man in Rennen gewinnt und mit denen man Autos und Reparaturen, sowie die meisten Upgrades bezahlt, gibt es auch noch Goldmünzen, die man bekommt, wenn man ein Level aufsteigt. Mit ihnen kann man teilweise auch Autos und Upgrades kaufen. Außerdem kann man sich mit ihnen aus Wartezeiten herauskaufen. Dies wird vielfach kritisiert, da man letztlich Geld bezahlen soll, um weiterspielen zu können. Wartezeiten gibt es, wenn Autos für Wartungsarbeiten in die Werkstatt müssen, was ungefähr alle 5 Rennen passiert; und bei der Bestellung neuer Autos. Beides ist mit Realismus erklärbar, aber natürlich möchte EA an das Geld seiner Spieler. Allerdings sind die Wartezeiten für mich durchaus ein positives Element. Zum einen führen sie dazu, dass man das Spiel irgendwann auch mal wieder weglegt, und nicht völlig die Zeit vergisst. Und zum anderen hat man nach kurzer Zeit sowieso mehr als ein Auto, und hat dann nie wieder Probleme mit Wartezeiten: irgendein Auto dürfte meistens gerade verfügbar sein.

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Die einzelnen Rennen sind in Rennserien aufgeteilt, für die jeweils vier Autos zugelassen sind (fast immer auch ein deutsches) und die alle von Anfang an zur Verfügung stehen. In den Rennserien gibt es keine kontinuierliche Punktetabelle mit einem Gesamtsieg, sondern Einzel-Events. Für die Plätze 1–3 gibt es einen Pokal, der weitere Events freischaltet. Dabei sind von der Endzeit her „passende“ Game-Center-Freunde stets mit eingestreut, man hat also unmittelbar die Gelegenheit, sie zu besiegen und den Bonus zu kassieren. Damit das nicht zu schwierig wird, werden sogenannte „Elite-Freunde“ erst eingestreut, wenn man den Gold-Pokal gewonnen hat. Um eine Rennserie zu 100% abzuschließen (was einen Bonus gibt), muss man alle Events mit Goldpokal abschließen – allerdings nicht alle Freunde besiegen. Stattdessen kann man dann später „zum Spaß“ die alten Events nochmal fahren, um die Zeiten von Freunden zu unterbieten und den Bonus zu kassieren. Dies sorgt für eine überraschende Langzeitmotivation.

Auch Real Racing 3 bietet Fahrhilfen, wie automatisches Gasgeben, Lenkhilfe, Bremshilfe und Traktionskontrolle. Die meisten Spieler schalten das aber glücklicherweise sofort aus. Das gibt zum einen Achievements und zum anderen machen diese vermeintlichen Hilfen das Spiel eigentlich schwieriger, da man dann nur entweder Vollgas geben oder Bremsen kann. Durch einige Kurven kommt man aber viel besser, wenn man einfach vom Gas gehen kann. Und da es ein realistisches Spiel ist, gibt es natürlich auch keinen Knopf für´s Driften – wenn man schnell genug ist und stark genug lenkt, driftet man; realistisch eben. Nur Windschatten scheint offenbar keine Rolle zu spielen, zumindest konnte ich das noch nicht feststellen.
Es gibt diverse Kameraeinstellungen, unter anderem auch Stoßstangen- und Third-Person-Perspektive, aber natürlich geht nichts über die Cockpit-Ansicht, in der man auch Lenkrad und Armaturenbrett sieht.
Die Steuerung bietet mehrere Optionen, für mich ideal ist die Neigungslenkung sowie manuelles Gas- und Bremspedal (mit den Daumen). Die Gangschaltung ist immer automatisch, mal abgesehen von speziellen Events („Drag-Race“), in denen man dann aber auch nur noch schalten muss und automatisch Vollgas gibt und geradeaus fährt.

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Weitere Eventtypen sind neben dem normalen Rennen („Cup“), 1-on-1-Rennen („Head to Head“) und Elimination (alle 20 Sekunden scheidet der Letzte aus) noch Speed-Snap und Temporekord, bei denen man eine möglichst hohe Geschwindigkeit entweder auf der gesamten Strecke oder an einer bestimmten Stelle erreichen muss; Zeitfahren eines Sektors („Autocross“) sowie der Ausdauer-Modus, in dem man gegen eine ablaufende Uhr fährt und möglichst weit kommen muss, wobei man für überholte Mitfahrer und gefahrene Runden Zeitboni bekommt. Diese Events können dann durchaus mal die 20-Kilometer-Marke knacken und 10 Minuten oder länger gehen.

Die Autos besitzen jeweils vier Werte: Höchstgeschwindigkeit (in km/h), Beschleunigung (in Sekunden), Bremsweg (in Metern) sowie Fliehkräfte (in g-Kraft). Diese Werte können mit unterschiedlichen Upgrades verbessert werden. Durch Kollisionen oder Ausritte ins Kiesbett im Rennen werden Autos (auch sichtbar) beschädigt und diese Werte verschlechtert, allerdings immer erst nach dem Rennen. Bezahlt man die Reparaturen dann (die man leider immer alle einzeln antippen muss), hat man im nächsten Rennen keinen Nachteil. Die Autos müssen außerdem regelmäßig gewartet werden, hier gibt es fünf Kategorien (Öl, Motor, Bremsen, Fahrwerk und Reifen), deren Füllbalken sich nach jedem Rennen ein Stück leeren. Ab einem gewissen Punkt wirken diese sich dann auch negativ auf die vier Leistungswerte aus und müssen Geld- und Zeitintensiv gewartet und wieder aufgefüllt werden.

Kritikpunkte muss man suchen, wenn man mit dem In-App-Purchase-Modell (das, wie gesagt, komplett optional ist) kein Problem hat. Neben dem teilweise langsamen, umständlichen Menü vielleicht am ehesten die sich immer wiederholende Musik – die nicht schlecht ist, aber schätzungsweise aus nicht mehr als 8 verschiedenen Titeln besteht; eine iTunes-Schnittstelle gibt es nicht – und die teilweise doch recht niedrig ausfallenden Preisgelder. Hier ist eine große Zahl an Game-Center-Freunden der Schlüssel; es kann durchaus vorkommen, dass man gegen 21 echte Gegner fährt und einen Bonus im Vier- bis Fünffachen des normalen Preisgeldes bekommt. Außerdem bekommt man regelmäßig Autos im Sonderangebot. Verkaufen lassen sich einmal gekaufte Autos allerdings nicht. Ich habe nun nach gut 20 Stunden Spielzeit Level 43 erreicht und besitze 12 Autos, ob ich mir ohne In-App-Purchase irgendwann die wirklich teuren Autos wie einen Bugatti Veyron, einen Koenigsegg Agera oder einen McLaren F1 leisten können werde, die allesamt im sechsstelligen Bereich liegen, sei mal dahingestellt. Aber auch mit – durchaus bezahlbaren – BMW Z4 sDrive, M3 GTS oder Porsche 911 GT3 lässt sich viel Spaß haben.

Wie allgemein mit Real Racing 3, das zurecht Platz 1 als bestes Rennspiel im App Store belegt. Die Kombination aus Lizenz-Autos und Lizenz-Strecken, einigermaßen realistischer Fahreigenschaften und dem langzeitmotivierenden Time Shifted Multiplayer ergibt ein Spiel, das auf jedes iPad gehört, selbst wenn man da eigentlich nicht spielt, so wie ich. Natürlich gibt es auch eine iPhone- und sogar eine Android-Version, ich habe es jedoch nur auf dem iPad 4 gespielt. Übrigens gibt es auch keine iCloud-Synchronisation, auf dem iPhone müsste ich jetzt von vorne anfangen. Dies ist – neben einer zukaufbaren Nürburgring-Nordschleife – eine der wenigen Dinge, für die ein Update zu erhoffen wäre. Ansonsten ist Real Racing 3 ziemlich nah an dem, was man als „perfekt“ bezeichnen würde. Und das auch noch kostenlos, es sei denn, man möchte wirklich unbedingt Geld dafür ausgeben.

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