Messaging
iMessage, WhatsApp, Skype, Facebook, Hangouts – und der Tod von XMPP
Früher™ war die Welt einfacher. Das Internet fand auf Computern statt. Auf einem Computer, für die meisten Leute. Messaging, das man damals noch Chat nannte, war entsprechend einfach – jeder verwendete ICQ und alle waren zufrieden damit. Irgendwann kam dann für mich noch MSN dazu – auch kein Problem, dank Multi-Protokoll-Clients wie Miranda oder Trillian konnte man mit einem Client alle Protokolle nutzen, egal welche Freunde man wo hatte. Die nächste Stufe war dann XMPP, oder auch Jabber – anstatt einem Client mit vielen Accounts ermöglichte XMPP einen einzelnen Account, der mit vielen Protokollen funktionierte (in der Theorie zumindest).
Doch die Welt hat sich geändert. Das Internet ist mobil geworden, man hat nicht mehr das eine Gerät, mit dem man ins Internet geht. Das alte Modell, der klassische Chat, funktioniert hier nicht mehr.
Was wir wollen
Der Anwendungsfall ist an sich einfach: man möchte mit allen Kontakten kommunizieren können. Über verschiedene Medien, je nach Bedarf: Text, Audio, Video. Und von allen Geräten aus, sei es nun ein Telefon, ein iPad oder ein Computer. Und zwischen diesen Geräten soll alles synchronisiert sein – lese ich eine eingegangene Nachricht auf dem einen Gerät, sollen die anderen Geräte diese Nachricht nicht mehr als neu anzeigen. Aber im Nachrichtenverlauf der anderen Geräte soll sie natürlich trotzdem auftauchen.
Was wir haben
Leider gibt es diese eine, ultimative Lösung noch nicht. Stattdessen haben wir viele Insellösungen, die einzelne Bereiche davon mehr oder weniger gut abdecken. Die meisten eher weniger.
Der kleinste gemeinsame Nenner: WhatsApp
Der einfache, aber geniale Schachzug von WhatsApp: jeder, der eine Mobiltelefonnummer hat, hat schon seinen Account. Wenn es einen Nachfolger von SMS gibt, dann ist das WhatsApp. Auch technisch weniger Bewandte kommen damit klar – App installieren, fertig. Wer die Telefonnummer hat, kann schreiben. Wie SMS. Nur übers Netz. Zusätzlich zur SMS-Funktion bietet WhatsApp Gruppen.
Doch die größte Stärke von WhatsApp – die Kopplung an die Telefonnummer – ist auch die größte Schwäche. Denn WhatsApp funktioniert nur auf genau einem Gerät pro Nutzer. Auf Computern findet WhatsApp nicht statt, auf iPads erst Recht nicht – nicht mal wenn man zwei Smartphones hat, kann man WhatsApp damit sinnvoll nutzen. Und damit ist WhatsApp das für Mobiltelefone, was ICQ, MSN und Konsorten für den PC waren. Synchronisation Fehlanzeige.
Die Multimedia-Lösung: Skype
Skype ist längst mehr als nur Voice over IP: klassischer Text-Chat, Videotelefonie, eine Gruppenfunktion, Clients für alle Plattformen. Eigentlich bringt Skype alles mit. Okay, man muss sich noch aktiv einen Account erstellen, es funktioniert nicht einfach so. Aber sonst? Da war doch noch das Peer-to-Peer-Prinzip von Skype, ohne zentralen Server…?
Genau. Und hier liegt auch das große Problem von Skype: die Synchronisation. Nachrichten werden nur zugestellt, wenn beide Kommunikationsparter online sind. Online? Ja, Skype funktioniert nämlich – wie ein klassischer Chat – nur, wenn man aktiv „online“ ist. Zwar geht das mit den mobilen Apps heute halbwegs schmerzlos, trotzdem ist kaum jemand in Skype immer online. Dazu kommt noch, dass der Gelesen-Status nicht richtig synchronisiert wird, wenn man auf mehreren Geräten gleichzeitig online ist. Skype hat genaue Regeln, unter denen es gut funktioniert: jeder sollte online sein, und zwar bitte auf genau einem Gerät. Außerhalb dieser Regeln hat es Probleme. Zu genaue Regeln für unsere Zeit.
Die Totgeburt: Hangouts
Mit Clients auf allen Plattformen (zumindest iOS, Android und Chrome – einen nativen Desktop-Client gibt es nicht) hat Hangouts theoretisch ein gigantisches Potential, der eine Messenger zu werden.
Leider hat Google einen tödlichen Fehler gemacht: Hangouts funktioniert nur, wenn man einen Google+-Account hat.
Nun ist mittlerweile fast jeder Google-Account ein Google+-Account, und somit kann theoretisch fast jeder Hangouts nutzen. Doch einen Google+-Account zu besitzen bedeutet nicht, diesen auch zu benutzen. Und auf iOS greift Hangouts nichteinmal auf das Adressbuch zu, man kann daher tatsächlich nur mit seinen drei Google+-Kontakten kommunizieren. Schade, hier hat ganz offensichtlich der Wunsch, mehr Leute zu Google+ zu bringen, vor der Schaffung einer wirklich guten Messaging-Plattform überwogen. Da Hangouts theoretisch alles kann, würde natürlich in einer Welt, in der fast jeder bei Google+ ist, Hangouts wunderbar funktionieren. Doch kaum jemand ist bei Google+, stattdessen ist jeder auf Facebook.
Der Einäugige unter den Blinden: Facebook
Ursprünglich nur eine Direktnachrichten-Funktion innerhalb eines sozialen Netzwerks, hat sich der Facebook Messenger gewaltig weiterentwickelt. Längst dürfte er die am meisten genutzte Funktion von Facebook geworden sein. Und Facebook ist überall zuhause; auch der Facebook Messenger funktioniert überall. Neben Text unterstützt er mittlerweile auch Voice-over-IP. Auf Android-Geräten kann Facebook sogar so tief in das System integriert werden, dass die Grenze zu SMS verschwimmt (Facebook Messenger kann als Standard-SMS-App eingerichtet werden – im Gegensatz, lustigerweise, zu Googles Hangouts). Und Facebook bekommt die Synchronisation zwischen den verschiedenen Geräten von allen Diensten am besten hin.
Sogar die Apps sind hübsch. Und so bleibt nur ein einziges Problem: man benötigt einen Facebook-Account. Und gerade im ängstlichen Deutschland dauert es noch etwas, bis wirklich jeder Facebook nutzt. Doch die kritische Masse ist längst erreicht – und so ist Facebook die Lösung, die derzeit dem Ideal am nächsten kommt.
Fazit
Einen Punkt aus dem eingangs formulierten Ideal-Konzept hat keine der vorgestellten Lösungen: alle Kontakte. Ich möchte nicht darüber nachdenken müssen, über welches Protokoll ich mit jemandem kommunizieren will. Doch genau das ist derzeit der Fall: mit Apple-Nutzern kann man iMessage verwenden; sobald man Android-Leute im Freundeskreis hat muss man auf WhatsApp ausweichen. Und auf Facebook sind auch nicht alle. Wenn es nur einen Standard gäbe, ein Basisprotokoll, mit dem die verschiedenen Dienste miteinander kommunizieren können, wie bei E-Mail oder HTTP… Moment! Gibt es: XMPP. Das gute, alte Jabber-Protokoll. Und tatsächlich implementieren Google Talk und Facebook XMPP. Leider aber nur teilweise – der interessante Teil, die Kommunikation zu anderen Servern, ist deaktiviert. Und die XMPP-Unterstützung von Google Talk wird seit der Umstellung auf Hangouts auch nicht mehr offiziell unterstützt oder gar weiterentwickelt.
Dazu kommt noch, dass XMPP offenbar nicht gut synchronisieren kann. Zwar kommen Nachrichten auf mehreren Geräten an. Eine gesendete Nachricht taucht aber nur auf dem Gerät im Nachrichtenverlauf auf, von dem aus sie gesendet wurde.
Der richtige Ansatz wäre nun natürlich, XMPP weiterzuentwickeln und dieses Standard-Protokoll überall zu unterstützen. Doch die vorhandenen Lösungen gehören den großen Vier: Apple, Google, Facebook und Microsoft. Und die haben alle nur ein Interesse daran, Nutzer in ihr Ökosystem zu ziehen.
Vielleicht wird sich Facebook durchsetzen, zumindest sieht es derzeit danach aus – zumal es wohl längerfristig mit Skype verschmelzen wird. Oder WhatsApp wird irgendwann auf mehrere Geräte wandern. Oder Apple entdeckt irgendwann, dass es auch noch eine andere Welt da draußen gibt.
Eine Lösung ist leider nicht absehbar.