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Warum Street View wichtig ist

Nun muss ich doch mal ein paar Worte zur diesjährigen Sommerloch-Diskussion „Verbietet Google das Fotografieren meiner Straße“ verlieren. My home […]

Nun muss ich doch mal ein paar Worte zur diesjährigen Sommerloch-Diskussion „Verbietet Google das Fotografieren meiner Straße“ verlieren.

My home is my privacy?

Ich finde es nicht gut, wenn mitgeloggt wird, was ich alles im Internet mache. Ich finde es auch nicht gut, wenn Unternehmen analysieren, was ich einkaufe. Und erst recht finde ich es nicht gut, wenn mein neuer Personalausweis kabellos ausgelesen wird, während er in meiner Hosentasche steckt.
Aber ich habe absolut kein Problem damit, wenn das Haus, in dem ich wohne, fotografiert wird.
Privatsphäre „bezeichnet den Bereich, der nicht öffentlich ist, […] der nur die eigene Person angeht.“ (Wikipedia).
Die Ansicht meines Wohnhauses von der Straße aus ist aber öffentlich, und als solche kein Teil meiner Privatsphäre. Wer also behauptet, Google Street View verletze die Privatsphäre, hat entweder keine Ahnung, was Street View eigentlich macht, oder möchte den Kampfbegriff der Privatsphäre für seine eigenen Interessen missbrauchen, sei dies nun stumpfes Google-Bashing oder Populismus.

Der böse potentielle Arbeitgeber

Auf die Kindergartenargumente (Einbrecher, die mein Haus auskundschaften etc.) will ich hier gar nicht eingehen.
Das einzige ernstzunehmende Argument ist wohl, dass durch Street View sehr einfach die Wohngegend einer bestimmten Adresse angeschaut werden kann. Dadurch könnten potentielle Arbeitgeber, die auch nach Partyfotos auf Facebook suchen, unter Umständen Rückschlüsse auf mein soziales Umfeld schließen.
Doch auch dieses Argument ist bei näherer Betrachtung keines: weder Saufbilder auf Facebook noch ein heruntergekommenes Wohnhaus sind geeignet, meine Qualifikation als Arbeitnehmer zu bewerten. Wer das macht, ist als Personaler grundsätzlich indiskutabel und auch niemand, für den ich gerne arbeiten würde.

Ein „deutsches Problem“

In x Ländern gibt es Street View schon seit langem, und stößt fast nur auf positive Resonanz. Nur für das verborte Deutschland muss Google eine lächerliche Opt-out-Funktion anbieten, weil Anne und Erich nicht wollen, dass der Mendelweg auch in Burkina Faso angeschaut werden kann. Dem typischen Deutschen ist seine Fassade, sein Vorgarten und sein Jägerzaun heilig, und es kommt nicht in Frage, dass plötzlich jeder Ausländer ein Bild davon auf seinen Monitor bekommt. Was schreit der Deutsche also? Verbieten!

Und Presse und Politik haben mitten im Sommerloch ein gefundenes Fressen, das den kompletten Internet- und Privatsphäre-Bereich erschöpfend abdeckt und die „Datenkrake Google“ auch mal wieder als Bösewicht entlarvt. Die wirklich wichtigen Diskussionen in diesen Bereichen – als Beispiel seien Netzneutralität und neuer Personalausweis genannt – gehen im Grundrauschen unter: die Seite im Abendblatt ist ja schon mit Street-View-Gegnern und Lokalpolitikern gefüllt, die die Privatsphäre der Fassade ihres Rathausgebäudes schützen möchten.

Öffentlichkeit

Die von Street View erfassten Daten (Hausansichten von der Straße aus) sind grundsätzlich öffentlich. Jeder kann auf die Straße gehen und sich die Daten „holen“, indem er sich ein Haus anschaut. Dies ist gut und wichtig, und letztlich als Menschenrecht der Freizügigkeit verankert.
Nun wird, wie so oft, das Internet als eine Art virtuelle, parallele Welt angesehen. Dabei ist es nur eine digitale Ebene unserer Realität.
Warum sollte uns auf dieser digitalen Ebene das Recht auf Freizügigkeit nicht gewährt werden? Warum sollen wir auf dieser Ebene nicht Dinge, in diesem Fall Häuserfronten, ansehen können, die wir auf der nicht-digitalen Ebene auch ansehen dürfen?

Ein Erweiterung der Privatsphäre auf die Hausfassade wäre nicht nur extrem lächerlich und mit deutsch-kleinbürgerlichem Beigeschmack, sondern auch gefährlich. Plötzlich könnte man nicht mehr einfach rausgehen und fotografieren. Will man z.B. einen Platz fotografieren, müsste man jeden einzelnen Anwohner fragen, ob man sein Haus fotografieren darf. Und es geht noch weiter: einige Gemeinden wollen ja auch Widerspruch gegen die Streetviewisierung ihrer städtischen, öffentlichen Gebäude einlegen.
Bin ich also vorbildlich Urlaub in Deutschland machen, kann ich nicht mal mehr die Stadt fotografieren, in der ich bin, ohne den Bürgermeister zu fragen, ob ich das darf.
Die ganze Debatte ist in ihrer Absurdität eigentlich nur noch von der Urheberrechtsdiskussion übertroffen.

Fazit

Die Debatte zeigt mal wieder deutlich die ignorante, technikfeindliche und reaktionäre Einstellung von Politik, Medien und gewissen Mitbürgern. In der Hoffnung, „dem bösen Google“ eins auszuwischen und sich als „Verteidiger der Privatsphäre“ profilieren zu können, wird hier etwas an den Pranger gestellt, was in ähnlicher Weise schon lange existiert und niemanden interessiert hat, bis Google damit begann.
Dass dabei möglicherweise gravierende Gesetzesänderungen entstehen können und der Begriff der Privatsphäre hier derart aufgeweicht wird, macht mir ernsthafte Sorgen. Dass der technische Fortschritt, den Street View zweifelsfrei bietet, durch reaktionäre Kräfte (auch aus dem Bereich der selbsternannten „digital Natives“) hier wieder einmal künstlich aufgehalten wird, ist dagegen einfach nur traurig.

Widerstand!

Eine charmante, guerilla-artige Aktion gegen das absurde Street-View-Löschen stammt von Jens Best: er hat die Aktion „Verschollene Häuser“ ins Leben gerufen, die sich zur Aufgabe gemacht hat, aus Street View gelöschte Häuser nachzufotografieren und mithilfe von Geotagging und entsprechenden Google-Maps-Mashups wieder digital verfügbar zu machen.