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Gezensust.

Heute war also die Tante vom Zensus 2011 da. Da ich in einem Studentenwohnheim wohne, was einem „nichtsensiblen Sonderbereich“ entspricht, […]


Heute war also die Tante vom Zensus 2011 da. Da ich in einem Studentenwohnheim wohne, was einem „nichtsensiblen Sonderbereich“ entspricht, werde ich auf jeden Fall befragt. Meine Wohnung ist meiner Meinung nach zwar sehr wohl ein sensibler Bereich, aber man muss offenbar in der Psychiatrie oder im Knast sitzen, um sensibel behandelt zu werden.

Jetzt aber mein Erfahrungsbericht, die ganze Aktion war nämlich doch erstaunlich skurril:

Angefangen hat es mit dem Ankündigungsschreiben, in dem die für mich zuständige Erhebungsbeauftragte den Termin ankündigte (morgen zwischen 13 und 15 Uhr), inklusive ihrer vermutlich privaten Handynummer und eMailadresse, um ggf. einen anderen Termin zu vereinbaren. Dabei lag noch ein Anschreiben, ein Auszug aus dem Gesetz und ein Informationsflyer. Alles klar, dachte ich mir, ich bin an dem Termin sowieso in der Uni, soll sie die Unterlagen eben in den Briefkasten werfen oder meinem kasachischen Nachbarn überreichen.

Ganz unverhofft klingelt es nun aber schon heute gegen 17 Uhr an der Tür, mein Nachbar macht auch bereitwillig auf und lädt den Interviewer (zumindest dachte ich anhand der Stimme, dass es sich um einen Mann handelt) direkt zu sich ein. So etwas wird bei mir natürlich nicht passieren! Gespannt höre ich also durch die Wand zu, wie mein Mitbewohner ausgefragt wird. Nach wenigen Minuten ist er auch schon abgefertigt und es klopft an meiner Tür. Zu meiner Überraschung handelt es sich vermutlich doch um eine Frau, wie auch auf dem Ankündigungsschreiben angekündigt war.

Sie will auch direkt in mein Zimmer kommen, jedoch sage ich gleich, dass ich den Fragebogen selbst ausfüllen möchte und schließe vorsoglich meine Tür hinter mir. Nach einem irritierten Blick sieht sie sich dann um und legt ihren Ordner schließlich auf die Küchenarbeitsplatte, nicht ohne mich mit den Worten „es geht aber ganz schnell“ doch noch dazu bewegen zu wollen, mit ihr den Bogen auszufüllen. Freundlich, aber bestimmt lehne ich ab. Sie müsse mich dennoch einige Dinge fragen, um mich in der Liste abhaken zu können. Es folgt die Datenübergabe von Name, Vorname, Geburtsdatum (interessant! Mein Mitbewohner, mit dem ich fast nichts zu tun habe, ist offenbar 10 Jahre älter als ich! Und die nette Nachbarin mein Jahrgang. Schön dass man sich die gesammelten Daten der Nachbarn einfach anschauen kann während der Befragung…) sowie Wohnungs- bzw. Zimmernummer.

Anschließend fragt die Erhebungsbeauftragte nochmal, ob ich den Bogen wirklich selbst ausfüllen wolle, denn das seien kaum mehr Fragen als sie nun ohnehin schon gestellt habe. Außerdem sei ich der erste (!), der den Bogen selbst ausfüllen will. Ich bejahe, sie trägt irgendwelche Nummern ein, erst falsch, dann richtig („achja, Sie wollen ja selbst ausfüllen…“), dann gibt sie mir den Bogen und fragt, ob ich per Internet oder Post abschicken möchte. Für den Postversand bekomme ich noch einen A4-Briefumschlag – was für eine Verschwendung für ein Blatt Papier – mit den Worten „ist schon frankiert, nicht wie es in der Presse stand!“. Ich bedanke mich und öffne schon mal die Türe, damit sie gehen kann.
Doch offenbar hat sie immer noch Hoffnung, ihre 5 € Provision für ein Interview zu erhalten, und fragt mich „nur aus Neugier“, warum ich den Bogen selbst ausfüllen möchte, weil das „bisher niemand“ wollte.
Wahrheitsgemäß antworte ich, dass ich meine privaten Daten nicht Fremden gebe. Sie entgegnet, dass sie ja den Staat vertrete und zum Stillschweigen verpflichtet sei. Das sei nicht, weil ich ihr nicht vertraue, antworte ich, aber ich möchte den Bogen trotzdem lieber alleine ausfüllen.

Endlich geht sie, und ich habe jetzt einen zweiseitigen Fragebogen in modischem lila, der neben Namen, Geburtstag und Geschlecht auch wissen möchte, wo ich geboren bin, welche Staatsangehörigkeit und welchen Familienstand ich habe, ob ich weitere Wohnungen habe und wann ich eingezogen bin (keine Ahnung!). Außerdem die Frage, ob die Wohnung die Führung eines eigenen Haushalts ermöglicht. Hier tendiere ich zu „Nein“, da ich keinen Backofen habe und praktisch auf das Mensaessen angewiesen bin…?
Interessant auch, dass im Fragebogen stets auf die „beigefügte Unterlage“ mit der Liste der Staaten-Abkürzungen eingegangen wird. Ich habe keine beigefügte Unterlage erhalten, werde also wohl einfach raten, was die korrekten Abkürzungen sind.

Alles in allem wirklich eine seltsame Geschichte. Zumal das liebe Studentenwerk schon angekündigt hat, dass es diverse Daten über mich übermittelt hat; die restlichen Daten weiß das Einwohnermeldeamt, das die gleiche Adresse hat wie die Erhebungsstelle. Wenn schon Datenzusammenführung, dann richtig, möchte man meinen. Aber so eine direkte Befragung stärkt das Image des Überwachungsstaats natürlich viel schöner. Dass ich in einem lebe, ist mit heute wieder bewusst geworden.

Achja, und leider habe ich vergessen, die Erhebungsbeauftragte zu fragen, ob sie in der NPD ist.